Schloss Wiligrad - erbaut 1896 bis 1898
Vorgeschichte
Anmerkung:
Baustruktur
Anmerkung zur Baustruktur des Schlosses Wiligrad:
Dem gegenüber verfügt das Schloss Wiligrad über eine Flügelspreizung von 135°, wodurch für Besucher der Eindruck entsteht, sie würden mit „weit geöffneten Armen“ in Empfang genommen!
Schloss Wiligrad, Hofseite mit Umfahrt und Löwenmonument, im Februar 2015;links Herrschaftsflügel, recht Wirtschaftsflügel mit Küchentrakt (im EG) u. Gästetrakt (im OG) Fotoaufnahme: Joachim Müller, Schwerin
Diese Flügelspreizung von 135° gibt es in Deutschland nur ganz selten und nur aus der Zeit des späten Historismus (ca. 1875 – 1900).
Beim größten und prächtigsten dieser Schlösser handelt es sich um den Witwensitz der Mutter des letzten, deutschen Kaisers Wilhelm II. – gelegen in Kronberg/Taunus bei Frankfurt am Main und erbaut von 1889 – 1893 (der betreffende Landstrich war erst nach dem preußisch-österreich. Krieg 1866 an Preußen gefallen – lag also in „Beute-Preußen“)!
Die verwitwete Bauherrin Victoria Kaiserin Friedrich war die Tochter der bedeutenden, englischen Königin Victoria – also eine englische Prinzessin.
Sie hatte ihr Schloss Friedrichshof nach den Bau-Prinzipien englischer Herrensitze errichten lassen, d.h. es fand eine ganz klare Trennung zwischen Herrschaftsflügel und Wirtschaftsflügel statt.
Dieses Landhaus Mendelssohn mit seinen ca. 650 m² Nettofläche im Erdgeschoss kann in mancherlei Hinsicht als ein direktes Vorbild für das Schloss Wiligrad (mit seinen ca. 900 m² Nettofläche im Erdgeschoss) betrachtet werden.
Eine derartige Bauweise (Siehe unten) für zentrale, zweigeschossige Treppenhallen kam im Deutschen Reich wegen der enormen, anteiligen Baukosten für die Treppenhalle nur bei den teuersten bzw. aufwendigsten Villen- bzw. Schlossbau-Vorhaben zur Ausführung!
Schloss Wiligrad am Schweriner See, Schnitt durch den Villenflügel, erbaut 1896/98,Architekt: Prof. Dr. Albrecht Haupt, Hannover Abbildung aus: A. Haupt, Architektur des Schlosses Wiligrad in Mecklbg, Wiesbaden 1903
Im Gegensatz zum Landhaus Mendelssohn ist beim Schloss Wiligrad die Treppenhalle allerdings ins „Riesenhafte“ ausgeweitet und überhöht (Erdgeschoss-Grundriss: 10 m x 10 m; Obergeschoss-Grundriss: 12 m x 15 m, Höhe der Treppenhalle ca. 13 m)
Zentrale, 2-geschossige Halle mit Repräsentationstreppe und 3-seitig umlaufender Galerie Foto: www.gutshaeuser.de bzw. Ilka Zander, Stralsund
Im Wirtschaftsflügel des - im 2. Weltkrieg weitgehend zerstörten - Landhauses Mendelssohn waren und im Schloss Wiligrad sind der Küchentrakt im Erdgeschoss bzw. Tiefparterre und die Fremdenzimmer (im Obergeschoss, quasi als „Pensions-Wirtschaft“) untergebracht.
Fassade
- der Küchentrakt mit Lager- u. Büroräumen (Tiefparterre, Erdgeschoss u. Hochparterre)
- der Trakt für den Haus- und Hofmeister (Büro im Erdgeschoss, Lagerräume im Keller)
- die Gästezimmer im Obergeschoss, teilweise mit eigenem Bad oder WC
- sowie mit einem Gepäckaufzug
- die Wohnung der Hofdame (im speziell gestalteten Dachgeschossbereich)
- die Schlafzimmer des unverheirateten, weiblichen Dienstpersonals
(im Dachgeschoss gegenüber dem Hofdamen-Appartement)
Backstein
Anmerkungen zur „Backstein-Rohbauweise“ des Wirtschaftsflügels vom Schloss Wiligrad
Der Architekt Prof. Albrecht Haupt wählte mit Bedacht als Architekturstil für den Wirtschaftsflügel des Schlosses Wiligrad - aber auch für das Heiz- u. Maschinenhaus sowie für den Marstall und dessen Nebengebäude - eine norddeutsche „Backstein-Rohbauweise“ aus, wie sie parallel zur zeitlich und räumlich eng begrenzten Anwendung des meck-lenburgische Johann-Albrecht-Terrakotta-Stils (von 1550 bis 1600 im Bereich Schwerin-Wismar) in weiten Bereichen Norddeutschlands üblich war.
Dieser Architekturstil kam während der norddeutschen Renaissance (ca. 1500 bis 1650) nur an stadtbürgerlichen Repräsentationsbauten (z.B. an Ratshäusern, an Handelshäusern) zur Anwendung, wenn die Stadt oder die Rats- bzw. Handelsherren über ein beträchtliches Vermögen verfügten!
Der Original-Backsteinrohbau-Stil fand seine Verbreitung in Nord-Süd-Richtung zwischen Flensburg, Lübeck und Salzwedel/Altmark und in Ost-West-Richtung zwischen Stralsund u. Husum!
Schloss Wiligrad, Parkseite - Wirtschaftsflügel mit Giebel (nebst Herrschaftsflügel)
Er wurde als Gästehaus genutzt, in dem sich auch ein Gepäckaufzug befand.
Die Lage des Schlosshauptgebäudes ist nach verschiedenen Sichtachsen ausgerichtet. Der Blick führt vom Salon und von der Bibliothek der Herzogin im Obergeschoss zur goldenen Kuppel des Schweriner Schlosses. Die Verlängerung dieser Achse führt zum Ludwigsluster Schloss. Eine weitere Sichtachse ermöglicht den Blick auf das Ostufer des Schweriner Sees bis zum Homberg.
Einen guten Vergleich zwischen der Neo-„Backsteinrenaissance“ des Wirtschaftsflügels vom Wiligrader Schloss und der ursprünglichen Backsteinrenaissance ermöglicht das „Altstädtische Rathaus“ der vormaligen Hansestadt Salzwedel in der Altmark!
Siehe im Internet unter: Salzwedel Altstädtisches Rathaus.jpg; unter: Wikipedia - externer Link!
Altstädtisches Rathaus der altmärkischen Hansestadt Salzwedel, erbaut um 1510 als stadtbürgerlich-repräsentativer Backsteinrohbau im Stil der norddeutschen Renaissance; Dachbereich mit Querhäusern - alle Giebel als „gotische Treppengiebel“ ausgeführt!
Details
Siehe im Internet unter: Kerkhoffhaus Rostock Wikipedia - externer Link!
Kerkhoffhaus Rostock (Handelshaus), Backstein-Rohbau, errichtet um 1470,Umgestaltung mittels reliefartigen Terrakotta-Platten etwa um 1510,Herstellung einer Renaissance-Fassade unter Beibehaltung der gotischen Treppengiebel! Schloss Wiligrad, Wirtschaftsflügel, Parkseite Schloss Wiligrad, Wirtschaftsflügel, Hofseite
Wie die obigen Abbildungen zeigen, sind beim Schloss Wiligrad die Gebäudefassaden aller drei frei liegenden Seiten des Wirtschaftsflügels backsteinsichtig ausgeführt.
Lediglich im Bereich des nordwestlichen Giebels und der renaissancetypischen Querhäuser auf der Hofseite und der Parkseite sind einige wenige, fensterförmige Blendbogen-Elemente hell verputzt (Siehe Abbildungen).
Allein schon das Vorhandensein der Querhäuser auf der Hofseite lässt erkennen, dass es sich beim Wirtschaftsflügel um einen Gebäudeteil im Stil der (Neo)-Renaissance handelt!
Hinweis:
Der Übergang zwischen der in Norddeutschland ehemals dominierenden Backsteingotik und der Backsteinrenaissance war fließend (etwa 1500 – 1550).
Allerdings bewahrte die Backsteinrenaissance weitgehend die Formensprache der Backstein-gotik. So weist z. B. die im 16. Jahrhundert gestaltete Fassade des Kerkhoffhauses in Rostock die typischen gotischen Treppengiebel auf. (Zitiert aus Wikipedia: „Backstein-Renaissance“)
Deshalb sind am Wirtschaftsflügel des Schlosses Wiligrad und an den anderen Wirtschafts-bauten dieses Architekturstils im Schlossareal - trotz der vorherrschenden Renaissance-bauweise - alle Giebel in der Form gotischer Treppengiebel ausgeführt!
Ähnlich wie beim Johann-Albrecht-Terrakotta-Stil des Herrschaftsflügels gilt jedoch:
- Zum Aufzeigen einer - für die norddeutsche Renaissance typischen - klaren Geschoss-trennung oder als „fiktives Dachgesims“ finden wir quer über die Wand verlaufende „steinerne Schnüre“, die zum Teil auch als Linienpaar waagerechte Mauerstreifen einrahmen und damit ein deutlich sichtbares Band im Mauerwerk bilden.
(Beim alten Rathauses Salzwedel sind diese „Trenn-Bänder“ hell verputzt.)
Die „Einzel-Schnüre“ sind aus Formsteinen gemauert, mit denen der Eindruck eines aus der Wand hervortretenden, halben Rundstabes erzielt wird. Diese Rundstäbe verfügen im Fall von Schloss Wiligrad noch über schräge Rippen (deshalb auch als „steinerne Schnüre“ bezeichnet).
- Die Querhäuser sind in ihrem „Sockelbereich“ (Traufhöhe des Satteldaches am Wirtschafts-flügel) durch Mauerwerksbänder „verschönert“, bei denen zwischen oberen und unteren Rundstab Backsteine in Mosaikanordnung vermauert wurden.
- Zum besseren Hervorheben der Gebäudekanten sind am Nordwest-Giebel über die Höhe des Obergeschosses und an allen Querhäusern über die eigentliche Nutzhöhe hinweg, Ecklisenen (senkrechte, aus dem Umfeld hervortretende Streifen) in Backsteinausführung gesetzt.
- Alle Fenster sind in Segmentbogenbauweise ausgeführt, wobei der Segmentbogenumfang etwa dem eines Drittelkreises entspricht.
- Die Gewände der Fenster und Türen werden von gerippten Viertelstäben („steinernen Schnüren“) gebildet.
- Im Bereich der Querhäuser sind die Segmentbogen-Fenster immer paarweise angeordnet. Dabei kommt im oberen Querhausbereich ein mittelgradig abgeändertes Baudetail zur Anwendung, wie es bereits beim Rostocker „Kerkhoffhaus“ (Backsteinrohbau um 1500) ausgeführt worden ist. Das obere Fensterpaar sitzt dabei innerhalb eines, beide Fenster über-spannenden, repräsentativen Blendbogens.
Das untere Fensterpaar befindet sich innerhalb einer doppelbögigen Blendarkadenfläche, die ihrerseits gegenüber der sonstigen Mauerwerksfassade um einen halben Stein zurück versetzt worden ist und damit einen besonders ansprechenden, plastischen Eindruck von der Querhaus-Giebelfläche vermittelt.
Die obige Fassadenbeschreibung des Wirtschaftsflügels vom Schloss Wiligrad gilt grundsätz-lich auch für die nachstehend benannten Wirtschaftsgebäude des Schlossareals, die im
„Neo-Stil“ der Backstein-Renaissance errichtet worden sind:
- Heiz- u. Maschinenhaus (zur Wärme- u. Stromversorgung) des Schlosses
- Marstallgebäude, dreiflügelig
- Wagen-Remise (massiv errichteter „Wagenschuppen“) gegenüber vom Marstall
- Gastpferdestall neben dem Marstall
Entsprechende Abbildungen sind unter dem Button „Weitere Gebäude“ zu finden!
Man vergleiche diese Gebäude hinsichtlich ihrer Fassadengestaltung bitte auch mit dem „Altstädtischen Rathaus“ in Salzwedel!!!
Die kunstvolle Gestaltung des Schlosses setzt sich im Inneren des Gebäudes fort.
Die Räume des Erdgeschosses im Haupthaus sind nahezu im originalen Stil erhalten. Dazu gehört der gewölbte Vorsaal, von dem man über einen aufwendig gemusterten Terrazzoboden und durch eine meisterhaft geschnitzte Tür in den Seitenflügel, aber auch in die zweigeschossige Halle des Schlosses gelangt. Die Halle hat ein umlaufendes, etwa 4 Meter hohes hölzernes Paneel und eine hervorragende Klangakustik. Unter der Treppe befindet sich ein Marmorkamin. Die zwölf mit Stuck verzierten Säulenpaare und die hölzerne Kassettendecke zeugen von einer besonders edlen Innenausstattung. Eine großzügige Treppenanlage führt an der Nord- und Ostseite der Halle zum Obergeschoss. Dort befindet sich eine zum Teil hinter Arkaden verborgene Galerie. In dieser Etage lagen früher die herzoglichen Wohnräume.
Westlich der Halle liegt der von Kreuzgewölben überspannte ehemalige Speisesaal.
Räume
Durch den Speisesaal gelangt man in das ehemalige Frühstückszimmer und das japanische Teezimmer, letzteres so genannt, weil in den drei zweiflügligen Türen des Zimmers schöne Holzintarsienarbeiten mit asiatischen Motiven (Bambus, Lotosblumen, Vögel usw.) eingearbeitet sind.
Die Küche findet man im Keller des Seitenflügels.
Der größte Raum des Schlosses neben der Halle war der Salon. Er befindet sich in südlicher Richtung hinter der Halle. Unter dem Treppenpodest der Halle ist eine kleine Doppeltür verborgen, die in das große Kabinett führt. Ein etwa 1,5 m hohes Paneel umgibt das Arbeitszimmer noch an drei Seiten. In den oberen Teil des Paneels sind Runen geschnitzt.
Ein großer steinerner Kamin bildet eine Ecke des Kabinetts. Beeindruckend ist auch hier die hölzerne Kassettendecke. Hohe geschnitzte Türen führen zum benachbarten kleinen Kabinett bzw. zur ehemaligen Bibliothek des Herzogs. Von der Bibliothek sind die originalen hölzernen, zum Teil verglasten Bücherschränke erhalten geblieben.
Nur von der ersten Etage aus konnte man die Silberkammer erreichen. Deren Wände sind mit feuerfestem Wellblech verkleidet. In den Tresoren der oberen Kammer lagerten die Kronjuwelen des Hauses Mecklenburg. Das Tafelsilber lagerte im unteren Raum der Silberkammer.
Im Winkel zwischen Haupthaus und Seitenflügel ragt der Treppenturm auf.
In die Kuppel des Turmes wurde ein eiserner Behälter (ca. 20-25 m³) eingebaut. Vom Pumpenhaus am Steilufer des Sees pumpte man Wasser in diesen Vorratsbehälter, um die Sprinkleranlage des Schlosses zu betreiben. Im Turm unterhalb des Wasserbehälters befindet sich ein Uhrwerk mit zwei Glocken.
Um den Betrieb des Schlosses zu sichern, wurde ein Maschinenhaus errichtet, in dem die Heizungsanlage für das Schloss, die Stromerzeugung und die elektrisch betriebenen Waschmaschinen untergebracht waren.
Der Marstall ist das größte Gebäude neben dem Schloss.
In ihm befanden sich die Boxen für die Pferde, die 170 qm große Reitbahn und die Wohnräume für das Personal.
In der Wagenremise waren die herzoglichen Kutschen untergebracht.
Das Gästepferdehaus beherbergte die Fremdrösser.
Im dahinterliegenden Federviehhaus züchtete man Geflügel. In der angrenzenden Gärtnerei wurde Obst und Gemüse angebaut.
Die Bediensteten wohnten „im Dorf“, in unmittelbarer Nähe des Schlosses, im Gärtnerhaus und im Bedienstetenhaus neben dem Waldhaus.
Das Waldhaus wurde verschiedenartig als Kavalierhaus, Hospiz und Bauernhochschule genutzt.
Bis 1945 befand sich das Schlossensemble im Besitz des Großherzogs Friedrich Franz IV.
Im Mai 1945 wurde es Hauptquartier der 15. Schottischen Division unter General Barber. Hier fanden die Vorabsprachen zum Gebietsaustausch der Schaalseeregion und Ratzeburgs statt, die später im „Gadebuscher Abkommen“ festgeschrieben wurden.
Nach Abzug der schottischen Division im Herbst 1945 wurde das Schloss als Typhuslazarett der Roten Armee genutzt.
Ab 1948 richtete dann die Landesparteischule der SED ein Schulungsobjekt in den ehemals herzoglichen Wohnräumen ein.
Nach Auflösung der Länder und Bildung der Bezirke im Jahre 1951 erfolgte die Nutzung des Schlosses durch eine Polizeischule, die zum Ministerium des Innern der DDR gehörte.
1978/79 wurde hier eine Aus- und Weiterbildungsstätte der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei eingerichtet. Zu dieser Zeit entstanden drei Munitionsbunker im Schlosspark, die im Rahmen der 2014 abgeschlossenen Parksanierung inzwischen wieder entfernt wurden. Den näheren Schlossbereich grenzte man durch einen Schutzstreifen mit Wachturm und Stacheldraht ein.
1990 wurde das Schloss erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Seit 1991 wird es durch verschiedene Institutionen und Vereine genutzt. Es finden Ausstellungen, kulturelle Veranstaltungen und Führungen statt.
Quelle: Archiv Verein der Freunde des Wiligrader Schlosses e.V.